Fotografische Seitenblicke in Versmold. Ausstellung im Kunstkreis Versmold 2014 .

Zur Ausstellung erschien ein Katalog.

 

 

Über das „Nichts“ in der Fotografie.

„ Wenn ich beim Malen mit dem Denken anfange, dann ist es vorbei.“ Mit

diesen Worten zitiert der Fotograf Henri Cartier-Bresson den Maler Paul

Cézanne. Er beschreibt damit gleichzeitig auch die Essenz seiner Arbeits-

weise, die auch als weiser Ratschlag nicht nur in der Malerei, sondern auch

für alle Bereiche menschlichen Handelns verstanden werden kann und sich

im Wesentlichen auf die Erkenntnisse der japanischen Zen-Philosophie

stützt. Im Zen geht es, verkürzt gesagt, darum, „alles zu vergessen, was wir

in der Vorstellung haben und Augenblick für Augenblick etwas Neues und

Unterschiedliches zu entdecken “, so der Zen-Meister Shunryu Suzuki.

Als Kunstschaffender, sei es als Maler oder als Fotograf, versucht man oft

unbewusst in diesen Bereich der Loslösung von sich selbst und der damit

verbundenen, unvoreingenommenen Wahrnehmung einzutreten, indem

man zum Beispiel unbekannte, exotische Orte aufsucht. Das Ungewöhn-

liche, das Verblüffende lässt uns staunen, so als würde man alles zum ers-

ten Mal wahrnehmen, ohne es gleich zu benennen und zu bewerten. Es ist

mit der Energie zu vergleichen, die wir empfinden, wenn wir zur Zeit der

Dämmerung etwas bemerken, dass wir nicht genau erkennen oder einordnen

können. In solchen Momenten denken wir nicht. Wir sind hoch konzentriert

und aufmerksam mit allen Sinnen. Erst wenn sich das Rätsel gelöst hat und

wir das vermeintlich Unbekannte erkennen, nimmt die Aufmerksamkeit

wieder ab. Unser Verstand ordnet den Gegenstand ein und verknüpft ihn

zugleich mit zahlreichen Erfahrungen, so dass eine unverstellte Wahrneh-

mung kaum mehr möglich ist. Wenn man aber Fotografie in einem Zustand

von „ absichtslosem Gespanntsein “ betreibt, wie es Cartier-Bresson formu-

liert, dann bedarf es keiner besonderen Anstrengungen. Die Bilder liegen di-

rekt vor uns, in jedem Augenblick. Um diesen Prozess geht es in dieser Aus-

stellung.

Was ist das Ergebnis dieser Übung? Im besten Fall Fotografien, die mehr

zeigen als abgebildete Realität. Fotografien, in denen das Motiv nur eine

untergeordnete Rolle oder überhaupt keine Rolle spielt. Es entstehen Bilder,

die veranschaulichen, wie im Moment des Auslösens der Kamera alles Ver-

standene und Erfahrenen zum Rätsel wird.

Es geht um alles und um „Nichts“ !

So gesehen, war der Kommentar eines Beobachters, der mir beim Fotogra-

fieren zusah „ Hier gibt es nichts zu sehen! “, dem Geist der Fotografien in

dieser Ausstellung, wenn auch unbewusst, aber doch verblüffend nahe

.

Karl-Heinz Lünstroth